Assoziative Kopplung im Neokortex
Das übergeordnete Ziel der Arbeitsgruppe ist das Verständnis der Funktionsprinzipien des Neokortex auf Netzwerk und Zellebene. Neokortex ist eine Hirnstruktur, die sich in der Evolution der Säugetiere entwickelt hat und ist im weitesten Sinne für die Ausstattung des Individuums mit kognitiven Fähigkeiten verantwortlich. Die große Frage ist, wie die große Vielfalt an kortexabhängigen Verhaltensweisen von einer Struktur generiert werden kann deren neuronale Strukturen sich zwischen Spezies, aber auch zwischen funktionellen Systemen (z.B. sensorisch, motorisch, kognitiv), verblüffend ähnlich sehen. Der Neokortex ist eine quasi zwei-dimensionale Platte (deshalb der Name ‚Hirnrinde‘) aus repetitiv angeordneten neuronalen Zell- und Netzwerkelementen. Selbst ein Experte kann auf Grundlage eines hochaufgelösten mikroskopischen Bildes kaum unterscheiden, ob es von einer Maus, Ratte, einem Affen oder Menschen stammt.
Diese Ähnlichkeit zwischen verschiedenen Neokortizes macht es wahrscheinlich, dass Neokortex eine generische Funktion realisiert, die für Tier und Mensch und für verschiedene funktionelle Systeme nutzbar ist. Wir vermuten, dass der Neokortex ein gigantischer Speicher ist, in dem gelerntes Verhalten basierend auf flexiblen Funktionszusammenhängen (sensorisch, motorisch, kognitiv) gespeichert wird.
Um diese Hypothese zu bearbeiten, müssen wir zunächst auf einer mikroskopischen Ebene verstehen, wie Signale in kortikalen Netzwerken repräsentiert sind, und welche Rolle die zahlreichen Netzwerkelemente (Schichten, Zelltypen, Synapsen, Verbindungen) spielen. Kombiniert damit muss aber ebenfalls auf einer makroskopischen Ebene angesetzt werden. Hier ist es wichtig zu verstehen wie Kortexareale miteinander kommunizieren und welche der vorgenannten Netzwerkelemente hierfür vonnöten sind.
Wir setzen daher auf einen integrativen experimentellen Ansatz, der beide Ebenen beleuchten kann. Wir nutzen präzise Methoden der Verhaltensbeobachtung und kombinieren diese mit elektrischen und optischen Registrierungen von Zell- und Netzwerkfunktionen. Unser experimentelles Model der Wahl ist das Vibrissensystem der Nager (Maus und Ratte). Diese nachtaktiven, unterirdisch navigierenden Tiere setzen ihre beweglichen Tasthaaren, die rund um die Schnauze angeordnet sind, ein, um ihre taktile Umgebung wahrzunehmen. Die Tiere nutzen die aktive Abtastung unbekannter Objekte, in ganz ähnlicher Weise wie Menschen ihre Fingerkuppen für dieselben Zwecke einsetzen. Wir beobachten taktile Repräsentationen und versuchen zu verstehen, wie diese in die Wahrnehmung eingehen und wie sie transformiert werden um die Abtastbewegungen für die Wahrnehmung zu optimieren. Weiterhin interessiert uns, wie diese Repräsentationen im Rahmen von einfachen Lernvorgängen, (z.B. anhand des konditionierten Lidschlussreflexes) akquiriert und dann zielgerichtet verändert werden.
Die oben erwähnte Ähnlichkeit von neokortikaler Organisation zwischen Tier und Mensch lässt erwarten, dass , Erkenntnisse auf zellulärer Ebene, die im Tier gewonnen werden, sehr einfach zur Erklärung der Verhältnisse beim Menschen genutzt werden können. Bevor jedoch solche Grundlagen sich in Anwendungen zur Verbesserung der Lebensverhältnisse von Patienten mit Erkrankungen des Neokortex niederschlagen können, müssen die Ergebnisse in anwendungsorientierter Forschung handhabbar gemacht werden.
Zelluläre Mechanismen der Kleinhirnkernfunktion
Leitung: Dr. Christine Pedroarena
Das neuronale Netzwerk des Kleinhirns ist eine evolutionär hochkonservierte Struktur, insbesondere in Säugetieren. Ohne die prinzipielle Netzwerkstruktur zu ändern, sind in der Phylogenie aber neue Kleinhirn-Module hinzugekommen - ein Zeichen dafür, dass sich das Kleinhirn an immer komplexere Hirnfunktionen und die Entwicklung anderer Hirnstrukturen angepasst hat. Deshalb kann die Untersuchung des neuronalen Netzwerkes eines Kleinhirnmoduls in Nagern wichtige Erkenntnisse auch für höhere Säuger inklusive des Menschen erbringen. Die wichtigste Funktion des Kleinhirns ist die sensomotorische Koordination und ihre Adaption an Veränderungen der Umwelt. Diese Funktion stellt sich in dem Muster der Funktionsausfälle bei Kleinhirnerkrankungen dar. Die betroffenen Patienten sind motorisch schwer beeinträchtigt, leiden unter der Unmöglichkeit ihre Bewegungen zu koordinieren (Ataxie) und neue sensomotorische Aufgaben zu erlernen. Eine neuere Einsicht ist es, dass das Kleinhirn im Zusammenspiel mit dem Neokortex auch an der Ausführung von kognitiven Aufgaben beteiligt ist. So wird eine Rolle des Kleinhirns auch für Syndrome mit kognitiven Störungen wie Autismus diskutiert.
Unsere Forschung ist der zellulären Funktion der sogenannten Kleinhirnkerne (DCN) gewidmet. Die Neurone dieser Struktur empfangen die Signale des Kleinhirnkortex und generieren die Ausgangssignale des Kleinhirns, die von dort in die verschiedenen Zielstrukturen gesendet werden. Bei Kleinhirnerkrankungen sind die Kleinhirnkernzellen häufig ausgespart. Daher sind die DCN ein ausgezeichneter Kandidat, um nach Kompensationsmechanismen bei Kleinhirnerkrankungen zu suchen. Wir untersuchen die zellulären Mechanismen (Eigenschaften der Synapsen und Zellmembranen) der DCN und ihre plastischen Veränderungen, sowie Mechanismen, wie diese Prozesse durch Kleinhirnerkrankungen beeinflusst werden können, mit dem Ziel die Funktionsweise des Kleinhirns zu verstehen und die Grundlagen für rationale Therapieansätze zu schaffen.
Für dieses Projekt nutzen wir intrazelluläre Registrierungen (Patch-Clamp), Mikrostimulation, sowie optogenetische Ansätze in in-vitro Hirnschnitten, die aus Wildtyp- oder transgenen Nagern gewonnen werden. Außerdem werden immunhistochemische Färbungen durchgeführt.
Vollständige Publikationslisten finden Sie hier: Schwarz Pedroarena Benali
Schlüsselpublikationen
Hentschke, H., Haiss, F., Schwarz, C. (2006) Central signals rapidly switch tactile processing in rat barrel cortex during whisker movements. Cerebral Cortex 16:1142-1156.
Stüttgen M.C. and Schwarz C. (2008) Psychophysical and neurometric detection performance under stimulus uncertainty. Nat. Neurosci. 11:1091-1099
Gerdjikov, T.V., Bergner, C.G., Stüttgen, M.C., Waiblinger, C., Schwarz, C. (2010) Discrimination of vibrotactile stimuli in the rat whisker system - behavior and neurometrics. Neuron, 65:530-540
Waiblinger, C., Brugger, D., Schwarz C. (2015) Vibrotactile discrimination in the rat whisker system is based on neuronal coding of instantaneous kinematic cues. Cereb Cortex 25:1093–1106
Joachimsthaler, B., Brugger, D., Skodras, A., Schwarz, C. (2015) Spine loss in primary somatosensory cortex during trace eyeblink conditioning J Neurosci, 35:3772-3781
FG SchwarzChakrabarti S., Schwarz C. (2018) Cortical modulation of sensory flow during active touch in the rat whisker system. Nat. Commun. 9:3907.
Bhattacharjee A., Braun C., and Schwarz C. (2021). Humans use a temporally local code for vibrotactile perception. eNeuro 8:ENEURO.0263-21.2021.
Übersichtsartikel
Schwarz C, Thier P (1999) Binding of signals relevant for action: towards a hypothesis of the functional role of the pontine nuclei. Trends Neurosci. 22: 443-451.
Feldmeyer, D., Brecht, M., Helmchen, F., Petersen, C.C.H., Poulet, J., Staiger, J., Luhmann, H., Schwarz C. (2013) Barrel cortex function. Progress in Neurobiology 103: 3–27
Schwarz C. (2016) The slip hypothesis: Tactile perception and its neuronal bases. Trends Neurosci 39:449–462. doi: 10.1016/j.tins.2016.04.008
Laufende Dissertationen
Bingshuo Li
Development of a complete method for in vivo electrophysiological investigation of transcranial magnetic stimulation in rodents
Prof. Dr. C. Schwarz / Prof. Dr. U. Ziemann
May Li Silva-Prieto
Changes in neuronal function and structure in the barrel column related to associative learning.
Prof. Dr. C. Schwarz
Kalpana Gupta
Influence of internally generated prediction signals on the ascending tactile pathway. A study in the vibrissal system of mice.
Prof. Dr. C. Schwarz
Yuechen Zhang
Neuronal bases of explicit memory studied using Pavlovian eyelid conditioning.
Prof. Dr. C. Schwarz
Ritu Roy Chowdhury
The role of the cerebello-parietal pathway in state estimation
Prof. Dr. C. Schwarz
Abgeschlossene Dissertationen (ab 2000)
Maysam Oladazimi (2019)
Biomechanical Texture Coding and Transmission of Texture Information in Rat Whiskers.
Prof. Dr. C. Schwarz
Julian Hofmann, (2017).
The role of mouse barrel cortex in tactile trace eye blink conditioning
Prof. Dr. C. Schwarz
Christian Waiblinger (2015)
The role of kinematic events in whisker-related tactile perception
Prof. Dr. C. Schwarz
Petya Georgieva (2014)
Active perception of virtual texture frequency in the whisker-related sensorimotor system of the rat
Prof. Dr. C. Schwarz
Bettina Joachimsthaler (2014)
Two photon imaging of structural plasticity underlying classical eyeblink conditioning in mouse barrel cortex
Prof. Dr. C. Schwarz
Caroline Bergner (2012)
Neuronal correlates of frequency discrimination in the tactile system
Prof. Dr. C. Schwarz
Isabella Schmeh, Dr. med. (MD, Medical School, 2012)
Gene expression of potential modulators of inhibitory neurotransmission in the Lurcher mutant mouse
Prof. Dr. C. Schwarz
Dominik Brugger (2009)
Adaptive microstimulation for stabilizing evoked cortical potentials
Prof. Dr. C. Schwarz
Florent Haiss (2007)
Contributions of motor areas to sensory processing during active and passive touch
Prof. Dr. C. Schwarz
Maik Stüttgen (2007)
Psychophysical channels and the physiology of perception in the rat whisker system
Betreuer Prof. Dr. C. Schwarz
Sergejus Butovas (2007)
Local synaptic effects of microstimulation in barrel cortex and pontine nuclei in the rat
Prof. Dr. C. Schwarz
Susanne Kamphausen (2006)
Functional architecture of the cerebellar nuclei: Investigations of membrane physiology, morphology, and glycinergic synaptic transmission of cerebellar nuclei neurons
Prof. Dr. C. Schwarz
Anja Horowski (2002)
Organization of tectopontine axon terminals with respect to the projections from visual and somatosensory cortices and dendritic fields of pontine projection neurons: Compartmentalization of rat pontine nuclei
Prof. Dr. P. Thier, Prof. Dr. C. Schwarz
Uwe Czubayko (2000)
A characterization of neuronal types in rat cerebellar nuclei using electrophysiological and morphological properties
Prof. Dr. P. Thier, Prof. Dr. C. Schwarz
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Hertie-Zentrum für Neurologie
Hertie-Institut für klinische Hirnforschung
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