Computerspiele sind ein sehr weit verbreitetes Freizeitvergnügen unserer Gesellschaft. Um die Folgen dieser Spiele abschätzen zu können, führen wir Untersuchungen der Blickbewegungen und des Pupillenreflexes sowie die Auswirkungen von Aufmerksamkeitsverlagerungen auf Wahrnehmungsleistungen durch. Wir können in einigen Studien belegen, dass Computerspieler im Allgemeinen kürzere Latenzen zeigen und über eine effizientere Kontrolle der Ausrichtung ihrer Aufmerksamkeit verfügen als Nicht-Spieler. Wir finden allerdings keinen Unterschied in der Genauigkeit der Blickbewegungen; Computerspieler erreichen die kurzen Latenzen nicht auf Kosten der Präzision ihrer Blickbewegungen.
Eine andere Besonderheit unserer Gesellschaft stellt die Verlagerung der Altersverteilung dar. Der Anteil der älteren Menschen nimmt gegenwärtig deutlich zu. Die Frage nach den Eigenschaften des gesunden Alterns gewinnt an Bedeutung. Wir untersuchen Alterseffekte in zwei verschiedenen Formen der zielgerichteten Augenbewegungen: Sakkaden und glatte Augenfolgebewegungen.
Auswirkungen von Computer-Spielen
In Deutschland spielen mehr als 46% der 12- bis 19-Jährigen jeden Tag Computerspiele. Trotz dieser weiten Verbreitung dieser Spiele werden ihre Auswirkungen heftig und kontrovers debattiert. Wir verfolgen die Zielsetzung, diese Auswirkungen mit einem möglichst breiten Spektrum von Augenbewegungs- und Aufmerksamkeitsstudien zu untersuchen.
Bitte nicht auf das Ziel schauen!
Wir baten unsere Versuchspersonen, eine sehr einfache Blickbewegungsaufgabe auszuführen. Sie sollten einfach eine spiegelbildliche Augenbewegung auf das Erscheinen eines Blickziels ausführen. Erschien das Ziel auf der linken Seite, sollten sie eine Blickbewegung nach rechts ausführen. Diese Blickbewegung wird Anti-Sakkade genannt. In einigen Fällen unterlief den Versuchspersonen jedoch ein Fehler; sie konnten den Reflex, auf das Ziel zu schauen, nicht unterdrücken. Diese fehlerhaften Blickbewegungen werden Pro-Sakkaden genannt. Das neuronale Substrat der Pro-Sakkaden stellt der Colliculus superior dar, während die kognitiv-geführten Anti-Sakkaden durch den Frontalcortex ausgelöst werden. Die Fehlerrate gemessen als die Häufigkeit der Pro-Sakkaden stellt also ein direktes Maß für die Effizienz der exekutiven Kontrollfunktion des Frontalcortex dar.
Wir untersuchten die Blickbewegungen von 55 Versuchspersonen im Alter von 15 bis 31 Jahren. Wir klassifizierten die Versuchspersonen als Computerspieler oder Nicht-Spieler auf der Basis der täglichen Spielzeit. Spieler (n=35) verbrachten mehr als 1 Stunde am Tag mit Computerspielen.
Wir untersuchten zunächst die sakkadische Reaktionszeit unserer Versuchspersonen. Pro-Sakkaden zeigten im Mittel über alle Versuchspersonen etwa um 100 ms kürzere Reaktionszeiten als Anti-Sakkaden. Die Latenzen von beiden Sakkadentypen war bei Computerspielern signifikant kürzer als bei Nicht-Spieler. Die Maximalgeschwindigkeit des Auges war bei Pro-Sakkaden signifkant höher als bei Anti-Sakkaden. Darüber hinaus zeigten Videospieler in beiden Sakkadentypen höhere Geschwindigkeiten als Nicht-Spieler.
Die kürzeren Reaktionszeiten der Computerspieler resultieren aber nicht aus einer höheren Fehlerquote. Computerspieler und Nicht-Spieler unterscheiden sich in keiner Weise in der Häufigkeit der Pro-Sakkaden. Daher liegt der Schluss nahe, dass die exekutive Kontrollfunktion des Frontalcortex durch Computerspiele nicht beeinflusst wird.
Geschwindigkeit der Verlagerung der Aufmerksamkeit?
(Zulassungsarbeit Helene Wiesmann)
Die kürzeren Reaktionszeiten der Computerspieler könnten eine Folge einer schnelleren Informationsverarbeitung sein. Um diese Hypothese zu testen, führten wir Experimente durch, in denen Versuchspersonen die Eigenschaften eines Objekts beurteilen mussten. Ein Hinweisreiz gab den Versuchspersonen an, welches Objekt zu beachten war. Der zeitliche Versatz zwischen Hinweisreiz und Objekt variierte zwischen 0 und 600 ms. Wir untersuchten die Wahrnehmung von 63 Computerspielern und 53 Nicht-Spielern.
Es ergab sich ein deutlicher Vorteil für die Computerspieler. Allerdings ergaben unsere Messungen keinen Hinweis darauf, dass Computerspieler schneller ihre Aufmerksamkeit verlagern können.
Unterdrückung einer bereits geplanten Aktion
(Zulassungsarbeit Carolin Töpfer und Verena Lohmüller)
Unter bestimmten Bedingungen kann es sehr nützlich sein, die Ausführung einer bereits geplanten Aktion zu unterdrücken. In einer ersten Studie bestimmten wir zunächst die Reaktionszeit von 80 Versuchspersonen, die so schnell wie möglich auf das Erscheinen eines grünen Quadrats die Leertaste drücken sollten. Wie erwartet zeigten hier Computerspieler kürzere Reaktionszeiten als Nicht-Spieler. In einer zweiten Aufgabe wechselte in 50 % der Durchläufe das grüne Quadrat seine Farbe nach rot. Der zeitliche Versatz dieses Farbwechsels lag zwischen 16 und 320 ms. Die rote Farbe signalisierte den Versuchspersonen, die Leertaste nicht zu drücken. In dieser Aufgabe waren die Reaktionszeiten auf das grüne Quadrat signifikant erhöht.
Aus diesen Verhaltensdaten berechneten wir die stop signal reaction time (SSRT), mit anderen Worten die minimale Zeitdifferenz des Farbwechsels für eine erfolgreiche Unterdrückung des Tastendrucks. Über alle Versuchspersonen ergab sich ein SSRT von etwa 250 ms, allerdings war kein Unterschied zwischen Computerspielern und Nicht-Spielern zu erkennen.
In einer zweiten Studie untersuchten wir die Unterdrückung einer bereits geplanten Augenbewegung. Die SSRT-Werte waren etwa 100 ms kürzer als bei der Unterdrückung einer Fingerbewegung. Allerdings waren auch in der Augenbewegungsstudie keine Unterschiede zwischen Computerspielern und Nicht-Spieler erkennbar.
PUBLIKATIONSLISTE
Vollständige Publikationsliste der Forschungsgruppe Okulomotorik Labor
Ausgewählte Publikationen
Mack DJ, Ilg UJ.; The effects of video game play on the characteristics of saccadic eye movements. Vision Research. 2014; 102: 26-32
Ilg UJ. The role of areas MT and MST in coding of visual motion underlying the execution of smooth pursuit. Vision Research 2008;48:2062-2069
Ilg UJ, Schumann S. Primate area MST-l is involved in the generation of goal-directed eye and hand movements. Journal of Neurophysiology 2007;97:761-771
Ilg UJ, Churan J. Motion perception without explicit activity in areas MT and MST. J Neurophysiol 2004;92:1512-1523
Ilg UJ, Schumann S, Thier P. Posterior parietal cortex neurons encode target motion in world-centered coordinates. Neuron 2004;43:145-151
Abgeschlossene Dissertationen
Jahr | Name | Titel |
2015 | David Mack | Consequences of Video Games on Oculomotor Behavior and Attention and Additional Implications for Healthy Aging |
2011 | Ulrich Biber | Visuelle Illusionen oder die Illusion des Sehens: Einflüsse von Augenbewegungen auf die visuelle Wahrnehmung |
2010 | Ines Trigo-Damas | Speed illusions of human subjects and rhesus monkeys |
Abgeschlossene Master-, Diplom- und Zulassungsarbeiten
Jahr | Name | Titel |
2022 | Lara Lutz | Der Einsatz digitaler Medien im Biologieunterricht: Auswirkungen der COVID-19 Pandemie auf den Biologieunterricht |
2022 | Naemi Broß | Untersuchung zur Quantifizierung der Scheinbewegung in der Spine Drift Illusion |
2020 | Tatjana Alf | Lassen sich antizipatorische Augenfolgebewegungen durch Videospiele verändern? |
2020 | Berit Böhling | Consequences of Video Games on Saccadic Reaction Times and the Occurence of Express Sakkades |
2019 | Laura Pelzer | Augenbewegungslatenzen bei Patienten mit zervikaler Dystonie |
2018 | Joana Stäb | Korrelation zwischen Videospielen und einfachen mathematischen Fähigkeiten |
2018 | Franziska Uhl | Vergleich von Richtungsfehler, Pro- und Anti-Sakkaden als Reaktion auf isoluminante Reize unterschiedlicher Wellenlänge |
2017 | Petra Segsa | Der visuelle Zahlensinn - Eine Untersuchung von Adaptionsphänomenen beim Vergleich von Punktmengen und Zahlensymbolen |
2017 | Finn Klingler | Antizipatorische Augenbewegungen: Untersuchung des Einflusses von Videospielen |
2017 | Anna-Lena Kämpg | Flash-lag Effekt bei echter und scheinbarer Bewegung |
2017 | Sabrina Fleissner | Details des RepMo-Effekts |
2015 | Michael Eb | Augenfolgebewegungen auf isoluminante Ziele |
2014 | Verena Lohmüller | Blickbewegung oder nicht – eine Frage des Konsums von Videospielen? |
2012 | Helene Wiesmann | Aufmerksamkeitsverlagerung bei wöchentlicher Computer- und Konsolenspielzeit |
2011 | Judith Neuhaus | Video games change eye movements |
2011 | Katharina Negele | Gender differences in the N170 during facial recognition |
2011 | Thorsten Thiede | Adaptation exemplified for the motion after effect |
2011 | Henrike Stutzki | Adaptation of goal-directed hand movements during the use of a computer mouse pad |
Abgeschlossene Bachelorarbeiten
Jahr | Name | Titel |
2021 | Philipp Dennenmoser | The effects of luminance and colour defined stimuli on successfully performing anti-saccades |
2021 | Jana Bay | Saccade properties under monocular and binocular viewing |
2020 | Sarah Hornfeck | Central-peripheral advantage at the blind spot |
2018 | Lena Urbanczyk | Pupillographie der Stressreaktionen von Action-Video-Game-Spielern |
2017 | Morgane Magyar | Filling-in am blinden Fleck |
2016 | Jonas Fink | Dynamik der Pupillenreaktion |
2014 | Galina Henz | Aufmerksamkeitsverlagerung bei Computer-Spielern und Nicht-Spielern |
2014 | Charlotte Mezö | Blickbewegung oder nicht – eine Frage des Konsums von Videospielen? |
2013 | Dennis Fritsch | Vergleich der sakkadischen Reaktionszeit mit den VEP-Latenzen im EEG |
Coming soon
Hertie-Zentrum für Neurologie
Hertie-Institut für klinische Hirnforschung
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Schülerlabor Neurowissenschaften
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